Tullnerfelder Kraut

Vergil erwähnte es, Cato schrieb, es mache den Arzt überflüssig mit seiner heilenden Wirkung, Hippokrates lobte seine abführende Wirkung und Dioskurides empfahl es gegen Erkrankungen der Milz: Die Rede ist vom Kraut und im Falle dieses Artikels von einem ganz besonderen: Das Tullnerfelder Kraut ist wahrlich einzigartig - schon allein, weil es nur im Tullnerfeld richtig wächst und gedeiht. Ein wahres Spiegelbild der Tullnerfelder Region.
Im Gegensatz zum Hybridkraut ist die Betreuung viel aufwändiger, selbst bei der Ernte muss man immer wieder aufs Neue durch das Feld gehen um die reifen Krautköpfe auszuwählen. Das Tullnerfelder Kraut zeichnet sich als Sorte durch seine sehr feine, weiche Struktur und seinen „langen Schnitt“ aus. Die Krautköpfe sind eher flach und können bis zu 15 kg schwer werden und ähneln in Größe und Form Autoreifen oder „Pflua-Radln“ wie die Leute im Tullnerfeld sagen.
Das Saatgut gibt es nirgends zu kaufen!
Wie bitte, das Saatgut des Tullnerfelder Krauts gibt es nirgends zu kaufen? Nun, ja, das ist kein Witz, das ist tatsächlich nichts als die pure Wahrheit: jeder Landwirt vermehrt es in einem mühevollen Prozess für sich selbst. Im Herbst werden am Feld besonders schöne Krautköpfe ausgesucht und gekennzeichnet. Sie werden samt den Wurzeln ausgegraben und im Keller in Sand eingeschlagen. Über den Winter platzen die Krautköpfe auf und treiben aus. Im Frühjahr werden diese dann staudenähnlich aussehenden Pflanzen in den Hausgarten gesetzt wo die Samen ausreifen. Im darauf folgenden Jahr kann dieser Samen dann angebaut werden.
Das Wissen um die richtige Krautpflege und –handhabung ist nur mehr ganz wenigen Tullnerfelder vorbehalten. Von Generation über Generation wurde dieser Wissensschatz weitergetragen, die Symbiose zwischen Krautbauern und Einschneidebetrieben ist eine ganz besondere: das gemeinsame Anliegen, diese Ur-Sorte zu erhalten steht im Vordergrund.
Geschichte des Tullnerfelder Krauts
Das heute bekannte Kraut in Kopfform entstand vermutlich im frühen Mittelalter. Kraut war über Jahrhunderte hinweg als Wintergemüse ein überlebenswichtiger Bestandteil der bäuerlichen Ernährung. Das am bäuerlichen Krautacker kultivierte Weißkraut wurde auf Höfen der Region in Krautgruben milchsauer zu Sauerkraut vergoren oder traditionell als Grubenkraut für den Eigenbedarf konserviert.
In den landwirtschaftlichen Gebieten im Umfeld der Großstädte entwickelte sich die Erwerbssparte des Feldgemüsebaus - zunächst auf Lagergemüse wie Zwiebel, Kraut und Rüben konzentriert. Wichtige Anbaugebiete für Kraut waren das Tullner Feld und das südliche Wiener Becken.
1838 findet sich im „Landwirthschaftliches Conversations-Lexicon für Praktiker und Laien“ von Alexander von Lengerke folgende Erwähnung: „Das Donaukraut ist bekannt, und ganz Wien verzehrt und braucht eine ungeheuere Quantität […]“. Nach der Eröffnung der Franz-Josefs-Bahn 1870 wurde das Tullnerfelder Kraut bis Böhmen exportiert. In der „Wiener Illustrierten Gartenzeitung“ aus 1891 ist zu lesen: „Die hauptsächlichste österreichische Sorte, deren Ruf am weitesten verbreitet ist, deren Samen theuer bezahlt wird, die aber dennoch in anderen Gegenden sich immer etwas verändert, ist das Tulnerkraut“. Eine Anekdote besagt, dass in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts das Kraut immer flacher wurde, was eine Bäuerin aus dem Tullnerfeld – die Urgroßmutter eines Produzenten – veranlasste, nach Böhmen zu reisen um geeignete Sorten zur Einkreuzung zu finden, damit das Kraut wieder „kugelförmiger“ würde, was auch erfolgreich gelang.
Eine besondere Rolle in der Region spielte die Herstellung von Sauerkraut, sowohl als Vorspeise, Suppe als auch Zuspeise zu Fleisch und Knödeln. Das „Krautabhäupteln“ war Gemeinschaftsarbeit, das Krauteinmachen gehörte zu den Robotleistungen. Die Krautköpfe wurden zuhause mit dem Krauthobel geschnitten und mit Salz und Kümmel in das „Krautschaffl“ entweder mit bloßen Füssen oder mit einem hölzernen Stößl gestampft.
Wo kann man das Tullnerfelder Kraut erwerben?
Das Tullnerfelder Kraut wir vor allem Ab Hof in Form von Stückkraut, Krautsalat und Sauerkraut verkauft. Kleinere, alteingesessene Einschneidebetriebe in Wien schwören ebenfalls auf diese besonders geschmackvolle Sorte. Sauerkraut wird an mehrere Nahversorgungsbetriebe, an Marktfahrer und an Großküchen verkauft.
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