Alsace (Elsass)
Nirgendwo ist die französische und deutsche Kultur so tief miteinander verwurzelt wie im Elsass. Dieses wunderschöne Land, im Osten vom Rhein, im Norden von den Vogesen und im Süden von der Grenze zur Schweiz umschlossen, ist eine märchenhafte Schatzkammer mittelalterlicher Städte und Dörfer voll geradezu putziger Fachwerkarchitektur und hügelig-lieblicher Landschaft mit unzähligen Weingärten. Doch hinter all der Idylle steht das Schicksal der Grenze und der europäischen Geschichte. Kriege, Niederlagen und Siegeprägten prägten dieses Land mehr als jedes andere in dem von Zwistigkeiten um Macht und Glauben zersetzten Europa.
Doch nicht nur geschichtlich und kulturell ist das Elsass ein reiches Land. Frankreichs östliche Grenzregion ist und bleibt eine der besten Gourmetadressen der Grande Nation. Die Küche ist dabei vor allem eines: ein Spiegelbild des Elsass selbst. Herzhaft, rustikal und doch charmant. Und die Synthese aus der alemannischen Deftigkeit und der französischen Raffinesse findet sich natürlich auch kulinarisch wider. Oder wie es der elsässische Karikaturist und Autor Tomi Ungerer treffend ausdrückt: „französische Qualität und deutsche Portionen“.
Zwischen Deutschland und Frankreich: Ein historisches Ping-Pong-Spiel
Einst war das Elsaß alemannisch, schwäbisch und somit deutsch. Doch nach dem 30jährigen Krieg traten die Habsburger im Jahre 1648 nach den Satzungen des Westfälischen Friedens ihre elsässischen Besitzungen an den König von Frankreich ab. Das Elsaß wurde französisch. 1871, nach der Niederlage der Franzosen im Deutsch-Französischen Krieg wurde das Elsaß wieder deutsch. 1918 war das Elsaß Schauplatz schwerer Kämpfe und wurde nach Kriegsende wieder französisch. 1940 besetzte Hitler-Deutschland Frankreich und das Elsaß wurde dem Deutschen Reich angegliedert. 1945 wurde das Elsaß nach dem Sieg der Alliierten wieder französisch. 1949 wurde Strasbourg (Straßburg) Sitz des Europarates, was auch eine Art Versöhnung zwischen Frankreich und Deutschland symbolisieren sollte.
Kulinarisches Elsass
Die Elsässer sind geprägt von der Geschichte und mit der Elsässischen Küche steht es nicht anderes. Ohne Worte verweisen die Lieblingsspeisen der Elsässer auf die "völkische Herkunft", denn bei aller Liebe zu Schnecken und Gänseleber, ohne das Sauerkraut und die Schlachtplatte geht in der elsässischen Küche gar nichts. Und Sauerkraut ist nun einmal die wohl deutscheste aller Speisen.
Das Elsaß ist eine einzigartige Schmankerlhochburg. Was für ein Unterschied tut sich da auf, wenn man vom "Spätzleland" (Schwaben) über den "Highway" von Stuttgart in Kehl über den Rhein ins französische Straßburg gelangt. Hier ist die Luft vor den Weinstuben, Restaurants und Bistros durchzogen vom Duft der gratinierten Schnecken (Escargots), Gänsestopfleber (Foie gras), Froschschenkel (cuisses de grenouilles), Pasteten (Patè), Schlachtplatten, Zwiebelkuchen, vom Duft des Sauerkrauts nach Elsässer Art, der Terrinen, traditionellen Eintopfgerichten namens "Baekkeoffe", des herben Munsterkäses (Munster-Gerome) und vor allem auch der Flammekueche (tarte flambeè). Ein kulinarisches Schlaraffenland, wie man es sich nur zu träumen erhofft!
Traditionelle elsässische Küche: Gänsestopfleber und Sauerkraut
Es war ein glorreicher Moment, als im 18. Jahrhundert Jean-Pierre Clause, der (lothringischen!) Chefkoch des Marschalls des Contades, jene Rezeptur einfiel, die ein gewisser Brillat-Savarin später berichtete, dass sie die göttlichste aller Speisen wäre - die Rede ist natürlich von der legendären "Pâté à la Contades", heute besser bekannt als "Straßburger Gänseleber", jener unfassbar wohlschmeckenden Pastete mit einem großen Herz aus edelster foie gras. Dieses Kunstwerk darf keineswegs mit der Straßburger Gänseleber-Terrine verwechselt werden, die gleichwohl nicht minder berühmt und verführerisch ist. Der Klassiker für den ultimativen Genuss: foie gras in Kombination mit Trüffeln - woher? Natürlich regionale, denn auch im Elsass gibt es wunderbar aromatische schwarze Trüffel - so z.B. in Hardt (Nord-Vogesen) oder in den sogenannten Riedwäldern um Hindisheim und Limersheim, die übrigens Mitte des 18. Jahrhunderts zu den Leibspeisen eines wahren "Trüffelfreaks" gehörten: Die Rede ist von einem gewissen Von Klingin, seines Zeichens königlicher Statthalter von Straßburg, der so versessen auf Trüffel war, dass er sich sogar einen eigenen Bediensteten leistete, der nichts anderes zu tun hatte, als seine Küche stets mit frischen Elsässischen(!) Trüffeln zu versorgen.
Gern und recht wird das Elsass auch als Sauerkraut-Hochburg gepriesen. Die Technik der Sauerkrautherstellung kommt aus Asien. Die Baumeister der Chinesischen Mauer sollen sich bereits im 3. Jh. vor Chr. von in Wein vergorenem Kohl ernährt haben. Über die Tataren und Slawen gelangte diese Zubereitungsmethode schließlich nach Deutschland, wo sie im 16. Jh. zur vollen Entfaltung kam. Hinter dem schwungvollen Namen „Choucroute Alsacienne“ verbirgt sich beispielsweise eine Kombination aus Sauerkraut und wahren Bergen von Schweinefleisch in Form von Würsten, Bauchspeck und Haxen. Zwischen 60 und 70% aller französischen Weißkrautköpfe stammen von hier – das lichte, fruchtbare Rheintal bietet zu optimale Bedingungen, als denn es anders sein könnte. Zentrum des Kohlanbaus ist die Gegend südlich von Straßburg rund um Krautgersheim: Hier feiert man beim jährlichen Sauerkrautfest den Kohl und legte kurzerhand eine Sauerkrautstraße an und befreite so die vom Tourismus stiefmütterlich behandelte Region aus ihrem Aschenputteldasein. Wenig verwunderlich also, dass die Elsässer Sauerkraut zu fast allem essen - und ja, zuweilen kombinieren sie sogar Kraut und foie gras miteinander. Ungewöhnlich? Ja ... ungewöhnlich gut!
Das Paradies vor der Tür: Obst und Gemüse
Heimische und frische Zutaten werden in der elsässischen Küche hoch geschätzt – und dankenswerter Weise hat das Elsass davon reichlich zu bieten. So kommt auch das Gemüse und Obst, das in vielen Gerichten eine Rolle spielt, aus den regionalen Gärten. Kartoffeln gelten neben dem Sauerkraut praktisch als Nationalgericht und werden in zahlreichen Variationen verarbeitet. Must-Try der süßen, elsässischen Obstkreationen: Tarte aux pommes, Zwetschgenkuchen, elsässische Lebkuchen oder - die Aufzählung kennt kaum Grenzen – einen Gugelhupf, der im Elsass nach französischer Manier Kougelhopf genannt wird.
Als traditionelles Obstanbaugebiet liefert das Elsass Obstgenüsse allerdings nicht nur zu Desserts verfeinert, sondern natürlich auch in hochprozentiger Form: Als Obstschnäpse oder wie im Elsass liebevoll betitelt: Eaux-de-vie (Lebenswasser). Besonders beliebt ist der Himbeergeist, der in speziellen großen Gläsern getrunken erst sein Aroma voll entfalten kann. Daneben ist das Elsass für sein Kirschwasser bekannt-berüchtigt, das seit dem 18. Jahrhundert im Elsass aus Kirschen gewonnen wird und somit einen der ältesten bekannten Obstbrände darstellt.
Von Weinbergschnecken bis Münsterkäse: Elsässische Menüfolge
Als Vorspeise gibt es im Elsass vielerlei Auswahl, empfohlen werden kann im Grunde die ganze Palette der elsässischen Kochkunst: Vom Zwiebelkuchen (tarte à l‘oignon) über die bereits erwähnte Gänsestopfleber bis hin zu den typischen Fleischpasteten (pâté, oft in einer Teighülle – rund 40 verschiedene Arten soll es davon im Elsass geben) Spargelgerichte und selbstverständlich die Weinbergschnecken (escargots). Letztere passen übrigens vorzüglich zu den elsässischen Weinen und sind in Butter und mit Knoblauch gratiniert ein Genuss für sich.
Wer nun gehofft hat, die Auswahl würde mit der Hauptspeise leichter, irrt: Da wären einerseits die vielen Fischgenüsse des Elsass wie Hecht als Klößchen (quenelles de brochet) oder in Rahmsauce (brochet à la crème), Vogesenkrebse, Forellen (truite), die „blau” oder in Weißwein zubereitet werden, und matelotte, ein Gericht aus gedünsteten und in Rahmsoße angerichteten Süßwasserfischen. Andererseits trumpft man mit Schmorgerichten und Eintöpfen genauso wie mit Wild- und Fleischgerichten wie Masthühnchen (poulet de grain de la Wantzenau) oder Hähnchen in Rieslingsoße (Coq au Riesling), Wildhasenpfeffer, Rehkeule mit Äpfeln oder Ente mit Kirschen. Wer sich da noch zu entscheiden weiß: Chapeau!
Die würzige Krönung jeder guten elsässischen Mahlzeit bildet letztlich der Münsterkäse, ein durchzogener, mildwürziger Weichkäse aus Rohmilch, zuweilen mit Kümmel gewürzt, dessen Herstellung bis ins 15. Jahrhundert zurückreicht. Und der ist ein Alleskönner, denn er ist nicht nur pikant, sondern auch süß zu genießen. Zum Beispiel in Kombination mit Kirschwasser als „Siesskas“ – ein wahres Dessertträumchen!
Elsass, das Land des Weißweines
Apropos Wein: Essen im Elsass ohne Elsässer Wein ist schlicht unvorstellbar! Präsentiert er sich nicht als Zutat in der Sauce zum Coq au Riesling oder Coq au Vin, ist nicht das Zanderfilet in Riesling oder die Forelle Blau in Riesling oder Sylvaner pochiert, der Fasan, das Kaninchen oder der Hirschbraten mit Wein zubereitet, wird spätestens zum Essen selbst ein guter elsässischer Wein oder Cremant getrunken. Denn das Elsass ist wahrlich ein Land des Weines. Vor allem des Weißweines. Einzig der Pinot noir (Spätburgunder), eine Rotweintraube, fällt aus der Reihe.
Vom Begleiter zu einfacher, bodenständiger Hausmannskost, dem Edelzwicker und dem Klassiker der elsässischen Weinküche, dem trockenen Riesling, über den frisch-spritzig-leichten Sylvaner bis hin zu gehaltvollen Weinen wie dem Pinot gris (im Elsass manchmal auch Tokay genannt) mit seinem fülligen Aroma und würzig-fruchtigen Weinen, die gerne auch als Aperitif gereicht werden wie dem Gewürztraminer oder Muscat: Das Elsass hat für jeden Geschmack und jede Stimmung, jede Tageszeit und jedes Gericht den passenden Wein, das offenbart sich ein jedem sehr schnell. Der Crémant d'Alsace schließlich ist ein ausgezeichneter Schaumwein, der im Champagnerverfahren hergestellt wird. Ein Aperitif fernab vom Wein ist letztlich der Amer: Bier mit einem Schuss Magenbitter. Und wenn es draußen kälter und drinnen adventlicher wird, darf der „Vin Chaud“, der gar köstliche elsässische weiße Glühwein nicht fehlen.
Ein Tipp für Weinliebhaber: Ein Schaufenster aller kulinarischen Adressen ist die Weinstraße, die südlich von Straßburg sich malerisch über die Hügel durch die Landschaft schlängelt. Ein Ort wetteifert hier mit dem anderen. Und würde man sich die Autos von Straßen wegdenken, könnte man sich wohl auch in das Mittelalter gedanklich rückversetzen.
Noch einmal zusammengefasst: Rustikal ist sie, die elsässische Küche, dabei ungemein charmant und herzhaft zugleich. Eine von großartigem Wein inspirierte, dominierte und verfeinerte Küche zudem. Oder anders gesagt: Schlaraffenland und Paradies in Einem!
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