Guadeloupe
Wenn heute von der sogenannten „Kreolischen Küche“ die Rede ist, so denken die meisten Menschen unweigerlich an die amerikanischen Südstaaten, insbesondere an Louisiana. Das ist grundsätzlich nicht falsch, aber bei näherer Betrachtung doch zu ungenau definiert, weil es erstens nicht nur in Louisiana Kreolen gibt (sondern genau genommen weltweit) und zweitens die Küche von Louisiana zwar kreolisch beeinflusst ist, letztlich aber eher als „Cajun-Küche“ bezeichnet werden muss.
Grund dafür ist die Tatsache, dass die Küche von Louisiana sehr stark von den Cajuns, womit die frankophonen Einwanderer Louisianas gemeint sind, gestaltet wurde und weit weniger als weithingehend angenommen von den eigentlichen Kreolen, womit die Nachkommen der aus Afrika verschleppten Menschen bezeichnet werden, die sich in den Kolonien mit Europäern mischten und so eine neue ethnische Mischgesellschaft bildeten – und solche Kreolen gab und gibt es an vielen Orten der Welt, nicht nur in Louisiana.
Um die Küche der Kreolen besser zu verstehen – und damit auch die Unterschiede zu den zwar artverwandten, aber stilistisch doch anders geprägten Küchen lohnt ein Blick in die Geschichte: Der Begriff „Kreole“ leitet sich vom portugiesischen „crioulo“ sowie vom spanischen „criollo“ ab, die zwar beide auf dem Verb „criar“ (= züchten, aufziehen) basieren, aber grundlegend unterschiedliche gesellschaftliche Gruppen bezeichnen. Bei den Portugiesen handelte es sich bei den Zöglingen um echte Mischlinge zwischen – grob gesagt – „Weißen und Farbigen“, bei den Spaniern hingegen um unvermischte Nachfahren der ethischen Bevölkerung. Seinen Ursprung hatte der Begriff „Kreole“ übrigens auf den Kap Verdischen Inseln und in Guinea-Bissau. Die Kreolen waren nämlich ursprünglich nichts anderes als die Nachfahren der in die Nord- und Südamerikanische Sklaverei verschleppten Afrikaner, die dann ihre Kultur mit der von den europäisch geprägten Kolonialmächten vermischten und in weit selteneren Fällen auch umgekehrt.
Aufgrund der Tatsache, dass es wegen der weit verzweigten ehemaligen Kolonien naturgemäß auch unterschiedlichste Kreolen gibt, ist es nicht leicht, die „Kreolische Küche“ an einem Ort festzumachen. Es gibt eine kreolische Küche in Madagaskar oder auf Renuion, auf den Cap Verden, in Argentinien, in der Karibik, in den amerikanischen Südstaaten und natürlich auch in Europa, vor allem in Paris und Amsterdam. Und letztlich gibt es sogar eine kreolische Küche im Senegal, denn auch hier wurde die Küche von Heimkehrern oder deren Verwandten und Nachfahren in den ehemaligen Kolonien, mit kreolischen Elementen beeinflusst. Sie alle haben eine eigene Stilistik, eine eigene Würze, eigene Aromen und Geschmäcker – aber auch einen gemeinsamen Nenner, nämlich den, dass es sich ursprünglich um eine Armenküche der Sklaven handelte, die aufgrund ihrer schier unendlichen Vielfalt zur wahren Kultküche mutierte.
Doch es gibt bei allen Vermischungen und Modernisierungen, die die Kreolische Küche weltweit erfuhr, tatsächlich noch eine Möglichkeit, so etwas wie die ursprüngliche Stilistik zu erfahren: und zwar auf den kleinen Antillen, insbesondere auf den französischen Antillen.
Die zu Frankreich gehörende Trauminsel Guadeloupe gilt als das Zentrum der kreolischen Küche und definiert sich selbst auch als solches nach Außen. Das war für uns natürlich mehr als Grund genug, der Insel im Laufe der vergangenen Jahre mehrfache Besuche abzustatten, um die kreolischen Töpfe und Aromen zu erkunden. Und es war immer wieder aufs neue eine interessanteste Recherche mit vielen kulinarischen Eindrücken und einer Vielfalt an Geschmäckern und Aromen, die uns noch heute am Gaumen liegen und für genussvolle Erinnerungen sorgen. Denn während andernorts in der Karibik längst amerikanisches Fastfood den Ton angibt, so werden auf Guadeloupe die traditionellen Speisen der Kreolen sowohl in traditioneller, als auch in moderner Form gefeiert – und das ist schön, wunderschön!
Auf Guadeloupe sagt man, dass die Kreolische Küche das Beste aus den zwei Welten der Afrikaner und Europäer sei. Und daraus bezieht sie auch heute noch ihre Vielfalt, ihre Kreativität und ihre Überraschungsmomente, denn sie weckt die Lebensgeister und verheißt Genuss. Typische Traditionsgerichte sind z.B. Stockfischkrapfen, Klippfischsalat, Gefüllte und überbackene Chayoten, Gefüllte Krabbe, Lambi (Riesenflügelschnecken, meist als Ragout), Gegrillte Langusten und Fische aller Art, scharf gewürztes und gegrilltes Huhn, gut gewürzte Schweinefleisch-Ragouts oder die Vielzahl von Suppen (Hühner-, Fisch- und Gemüsesuppen sind am verbreitetsten), Eintöpfen und vor allem Gemüsegerichten, bei denen insbesondere Gemüsepürees (Kürbis- oder Maniokpüree ist eine Standardbeilage) eine große Rolle spielen.
Und last but not least darf man an dieser Stelle die unglaublich schmackhaften Saucen und Marinaden, die wegen ihrem Duft, ihrem Aroma und dem Variantenreichtum als die Seele der Kreolischen Küche bezeichnet werden dürfen, genauso wenig vergessen, wie den omnipräsenten Rum, der hier mittels eines speziellen Verfahrens – der sogenannten „kreolischen Destillation“ – gewonnen wird und selten weniger als 50%, oft aber 70 und mehr Prozente hat. Kein Wunder, dass die Menschen hier so glücklich wirken, denn auf Guadeloupe beginnt der Tag gern so, wie der Vorabend geendet hatte: mit einem Gläschen „Petit Punsch“ (Rum, Limette, Rohrzucker, Eis) … Übrigens: meine bevorzugte Rums sind Bielle Blanc Rhum Agricole Marie-Galante (59%) für den „Petit Punsch“, Longueteau (62%) pur auf Eis sowie der aus gleicher Destillerie stammende, in Bourbon- und Cognac-Fässern doppelt gereifte und schier unglaubliche „Karukera – Edition Limitée“ für die feinen Momente des Lebens.
Diese kleine Auflistung verdeutlicht aber nicht nur kulinarische Glücksmomente, sondern auch die Grundlagen der kreolischen Küche: Rum, Gemüse (z.B. Mais, Kürbis, Jams, Süßkartoffeln, Chayote, Avocado), Hülsenfrüchte (vor allem Bohnen), exotische Früchte sowie Kräuter und Gewürze bilden den Mittelpunkt und werden mit Fisch und Meeresfrüchten, aber auch Huhn, Ziege und Schwein verfeinert aufgetischt – alles darf nach Lust und Laune miteinander kombiniert werden, erlaubt ist, was schmeckt und gefällt, denn schließlich ist ein Charakteristikum der kreolischen Küche auch die optimale Reste-Verwertung.
So reich und üppig sich die kreolische Küche heute auch präsentiert, so leicht und modern ist sie andererseits, denn Butter, Obers und Käse werden kaum verwendet.
Warum gerade in Guadeloupe eine sehr authentische Kreolische Küche zu erleben ist hat sehr viel mit dem Thema Fleisch zu tun. Dass man in der Karibik Fische, Meeresfrüchte und exotische Früchte genießen kann, dürfte kaum überraschen. Zur kreolischen Küche gehören aber auch fleischliche Genüsse. Während die afrikanisch-stämmigen Kreolen ihrer archaischen Küchenlinie treu bleiben und das scharf gewürzte Fleisch (Huhn oder Schwein) meist ausschließlich über Holzkohle grillen, so erfährt der neugierige Carnivore wahre Aromen- und Geschmacksfeuerwerke bei den Gopios, den inselansässigen Indern! Neben den Europäisch-Französischen- und Afrikanischen Elementen haben nämlich auch die Inder das ihrige zur Kreolischen Küche auf Guadeloupe beigetragen, weil auch sie als billige Arbeitskräfte in den ehemaligen Kolonien angesiedelt wurden und somit die hiesige kreolische Küche mit ihren Gewürzen und Gewürzmischungen bereichern konnten – ihr Paradegericht ist der in unendlichen Variationen erhältliche Colombo, eine sehr aromatische Variante des bekannten Indischen Currys (Anmerkung: mit Columbo bezeichnet man auch eine Gewürzmischung).
Uns wurde die große Ehre zu Teil, von den Gopios (Globale Gesellschaft der Menschen indischer Herkunft) zu einem Festessen eingeladen zu werden. Von all den aufgetischten Gerichten waren zwei besonders bemerkenswert: zum einen die frittierten Bittergurken, welche als Vorspeise dienten und zum anderen der Columbo mit Ziegenfleisch, der nicht (wie heute üblich) auf dem Herd gekocht wurde, sondern langsam über Holzkohle garte, wie es im Originalen sein muss, weil er dem Vernehmen nach nur so zubereitet wirklich original (und damit authentisch und gut) schmeckt.
Es ist keineswegs übertrieben zu schwärmen, dass dieser Ziegen-Columbo besser am Gaumen schmeichelte, als jedes andere Curry-Gericht, das wir zuvor in Indien, Pakistan, London oder sonst wo auf dieser Welt verkostet hatten. Ja, dieser Colombo mundete derart gut, dass wir sicher wieder nach Guadeloupe fliegen werden – nicht nur des Columbos wegen, aber ehrlich gesagt auch deswegen … et ne l’oublions pas: le rhum. Denn wer jemals die kreolisch-indischen Aromen sowie den hochprozentigen Rum vor Ort genießen durfte, der ist dem vielschichtigen Charme dieser Küche nahezu zwangsläufig erlegen und wird ihn nie mehr missen wollen.
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