Triest
Wer Triest nicht oberflächlich betrachtet, sondern hinter die Kulissen blickt, dem wird sehr schnell klar, dass die Stadt etwas ganz Besonderes an sich hat!
Es ist nicht das ganz Besondere, was beispielsweise Venedig auszeichnet, nein ist das besonders anders sein, was Triest so charmant macht. So ist der Canal grande in Triest keine mondäne, von Palazzi gesäumte Wasserstraße wie in Venedig, sondern genau genommen eine kleinere Hafenmole. Aber eine mit Charme und Flair. Imposant hingegen ist die zum Meer hin offene Piazza dell’Unità mit dem prachtvollen Rathaus, dem wunderschönen Grand Hotel Duchi d’Aosta und den anderen im Habsburger Barock errichteten Prachtbauten. Der Rest von Triest wirkt auf den ersten Blick wie eine ganz normale italenisch-slowenische Hafenstadt ohne aufregende Besonderheiten.
Vielen Erstbesuchern werden zunächst von der eindrucksvollen Lage am Meer, dem Karst mit seinen Osmize (Heurigen-Lokalen) und dem umtriebigen Stadt-Leben beeindruckt sein. Doch man sollte von Neugier getrieben, Triest näher erkunden, in die Stadt eintauchen, mit ihren Einwohnern reden, mit ihnen leben und vor allem mit ihnen schlemmen. Ohne Ziel, ohne festen Plan, ohne Zeitdruck und ohne Vorurteile tauchte man dann in das bunte Leben einer Stadt ein, die ihre Geheimnisse nicht auf den ersten Blick preisgibt. Wie eine Diva liegt sie da, schmiegt sich in die karstigen Hügel und blickt stolz auf das vor ihr liegende Meer.
Mit der Zeit stellt man dann fest, dass drei Dinge für die Triestiner typisch sind: eine natürliche Freundlichkeit, eine fast überschwängliche Gastfreundschaft und gelebte Internationalität. Dabei ist es vollkommen egal, ob der Triestiner ein Italiener, Slowene, Kroate, Jude, Österreicher oder Grieche ist. Worauf es ankommt sind Gastfreundschaft und Internationalität. Veit Heinichen formulierte es treffend: in Triest leben mehr als 90 ethnische Gruppen friedlich miteinander und geben ein Beispiel vor, wie ganz Europa funktionieren könnte.
Auf den ersten Blick hat Triest eigentlich keine typische Regionalküche, sondern eher einen kulinarischen Mischmasch aus Venezianischen, Friulanischen, Slowenischen und nicht zuletzt Alt-Österreichischen Gerichten. So steht es auch in den (meist oberflächlich recherchierten) Reiseführern. Doch mit der Zeit wird man feststellen, dass dies nicht vollinhaltlich zutreffend ist. Natürlich hat die Triestiner Küche Einflüsse aus aller Herren Länder in sich aufgenommen, aber diese werden nicht eins zu eins nachgekocht, sondern zu neuen, ganz eigenen Geschmacksbildern kombiniert.
Der Beinschinken, die Rindszunge und vielerlei vom Schwein werden aber nach altösterreichischer Manier serviert – gekocht und mit viel Kren! Und dazu trinkt man gerne ein Dreher-Bier, benannt nach dem einstigen Braumeister Dreher, dem ehemaligen Besitzer der Schwechater Brauerei, der als Erfinder des Lagerbiers gilt. Und Mehlspeisen wie Apfelstrudel, Sachertorte, Dobostorte und die Rigojanski-Torte sind genauso weitere Zeugen einer habsburgischen Vergangenheit, wie das Gulasch oder die aus Serbien stammenden (und in Triest omnipräsenten) Cevapcici.
Die heutige Triestiner Küche ist ein wunderbarer Mix aus regionalen Rezepten (vornehmlich mit Fisch, Meeresfrüchten, Schwein und Innereien, aber auch Rind und Pferdefleisch findet man oft), Rezepten aus Ländern der ehemaligen K&K Monarchie und nicht zuletzt Venezianischer Kochkunst. Das alles wird gewürzt mit einer guten Portion Eigenständigkeit und abgeschmeckt mit Kreativität und Einfallsreichtum. Daraus entstanden dann viele wunderbare Gerichte, die unter einem gemeinsamen Nenner zusammengefasst werden, den man in Triest „mare e monti“ (Meer und Berge) nennt.
Auch wenn die zahlreichen Fisch-Restaurants ein anderes Bild zu vermitteln scheinen, ist die Triestiner Küche sehr fleischlastig – um nicht zu sagen „fleischverliebt“.
Die Fische werden eher als Handelsware betrachtet, denn sie bringen auf den Speisekarten der Lokale einen weitaus höheren Mehrwert, als Fleischprodukte. Doch die Triestiner selbst essen wesentlich lieber Fleisch – das ist auch der Grund, warum sich von den Meeresbewohnern Garnelen, Scampi, Oktopus und Seppie besonders großer Beliebtheit erfreuen, denn sie sind mit viel Fantasie bedacht im Biss zumindest halbwegs fleischähnlich. Trotz all der Fischlokale (von denen neben der wunderbaren Ami Scabar die „Trattoria la Sorgente“ und die „Antica Trattoria le Barretine“ besonders empfehlenswert sind) wird der eingefleischte Carnivore daher in Triest nicht darben müssen und vielerorts Refugien für seine Leidenschaft finden.
Am besten beginnt man damit, die ungezählten Buffets der Stadt zu erkunden. Unter Buffet versteht man in Triest Lokale, die man als Mischung zwischen friulanischer Osteria und venezianischer Cicchetteria bezeichnen könnte – oder anders gesagt: Lokale, die kleine Happen und Wein, in Triest auch gerne Bier, anbieten. Neben den regionalen Salume (Wurstwaren) wie Karst-Schinken, San-Daniele-Schinken und verschiedenen rustikalen Salamisorten dominiert in diesen Buffets vor allem eine Spezialität - der Prosciutto di Praga, welcher dem Österreichischen Beinschinken ähnlich ist, dennoch mit diese nicht verwechselt werden sollte. „Schinken in Brotteig“ gibt es in Triestiner Buffets auch, aber noch beliebter sind hier zwei andere kulinarische Ikonen des ehemaligen Habsburger Reiches: Kaiserfleisch und Würstel nämlich.
Eine hervorragende Adresse um diese beiden Köstlichkeiten vor Ort zu geniessen ist das Buffet Da Pepi, eine echte Triestiner Institution (und daher leider etwas touristisch überlaufen, dennoch ist es ein sowohl sehens- als auch besuchenswerts Lokal). Das Buffet Peppi öffnet schon früh die Pforten, so dass man sich hier bereits in frühen Vormittagsstunden eine kräftigende warme Mahlzeit gönnen kann. Im Zentrum des nicht wirklich großzügig angelegten Etablissements steht die große Marmorplatte, in die ein Heißwasserbecken eingelassen ist, aus dem der Küchenmeister mit einer zwei-zinkigen Gabel alles herausfischt, was das Schwein zu bieten hat. Die Spezialitäten des Hauses sind testina (Kopf, vor allem Rüssel), piedi (Füßen) und spalla (Schulter) … aber auch besagte Würstel (eine Art dickere Frankfurter aus Schweinefleisch) und das Kaiserfleisch (ein klassisches Selchfleisch) gelten hier als traditionell. Einzige Fleischspeise, die nicht vom Schwein stammt ist die – ebenfalls köstliche – Rinderzunge. Weil mitten im Lokal gekocht wird, riecht alles ein wenig nach Schlachtbrücke, was dem da Pepi einen archaisch-urtypischen Flair vermittelt. Übrigens: das Sauerkraut wird hier im Fleisch-Kochsud vom Vortag gegart und ist unbestritten eines der schmackhaftesten und besten auf der Welt!
Überhaupt wird in Triest an Fleisch alles gekocht, was gut und (nicht so) teuer ist. Berühmt sind die Kutteln nach Triestiner Art, für die zum Beispiel das Re di coppe bekannt ist, eine echte Osteria, die so einfach wie gemütlich ist. Es sind die Gäste, vor allem die Weinweisen und Weinseligen, welche für das authentische Ambiente sorgen. So gut die Kutteln nach Triestiner Art auch sein mögen, leider sind auch hier nicht mehr flächendeckend erhältlich.
Neben dem gekochten Fleisch lieben die Triestiner – wie alle Italiener sowie die benachbarten Slowenen und Kroaten – gegrilltes Fleisch.
Und das kommt nach regionaler Sitte vom Holzkohlengrill, mitunter auch einem Fogolar, dem berühmten Grill der Friulaner. Aber in beiden Fällen wird Fleisch über heißer Glut gegart. Und der Reigen an zu grillendem Fleisch ist dabei so bunt, wie der ethnische Einwohnermix von Triest: da findet man Innereien aller Art, mächtige Fiorentiner-Steaks, Bistecce vom Pferd, ausgelöstes Hühnerkeulenfleisch, die unverzichtbaren Cevapcici und all die anderen Viktualien, die der Carnivore sucht und liebt.
Und Triest wäre nicht Triest, wenn es nicht auch eine traditionelle Pilgerstätte in Sachen Fleisch hätte, nämlich den „Suban“. Im wohl bekanntesten Lokal für Carnivoren wird seit 1865 nach Herzenslust alles über offenem Feuer gegrillt, was der Schlachthof hergibt. Auf den Punkt gegart sind die saftigen Steaks und die schmackhaften Innereien (köstlich die Variation mit Kalbsleber, Bries und Nieren). Saftig zarte T-Bone-Steaks oder herzhafte Tagliata werden am Tisch tranchiert, genauso wie übrigens die sensationellen Kalbsstelzen, welche nun freilich nicht gegrillt, sondern geschmort wurden. Aber das Lokal ist auch für seinen Eintopf Jota (siehe Rezept) bekannt, die hier in der Variante „carsiana“ (daneben gibt es auch noch eine Triestiner Variante) aufgetischt wird und eine deutliche Kümmelnote hat. Im Sommer kann man hier von der großzügigen Terrasse aus seine Blicke über fast ganz Triest hinweg schweifen lassen und nach sich Gedanken über zukünftige kulinarische Inspirationen durch den Kopf gehen lassen.
Ganz sicher findet man in Triest eine Quelle der Inspiration. So wie sie einst Dante, Stifter oder Grillparzer in Triest fanden. Oder wie James Joyce, der in Triest seine zweite Heimat fand, hier im Exil seinen „Ulysses“ schrieb und sarkastisch seine Lebensgewohnheiten mit den Worten beschrieb: „In Triest I have my liver eaten.“
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