Kalabrien








Italien verbindet man mit Jesolo und Bibione; der Toskana und Sardinien, Rom, Milano und Venedig, Pizza und Pasta. Die Stiefelspitze des Landes aber bietet, unentdeckt vom Massentourismus, Italien in Rein- und Ursprungsform wie kaum eine andere italienische Region: Kalabrien begeistert als wunderschöner Landstricht mit dichten Wäldern, hohen Bergen und malerischen Buchten und kann, typisch Italien, natürlich auch kulinarisch auftrumpfen, beispielsweise mit Peperoncino, Schwertfisch-Spaghetti & Pecorino.
Die Heimat der Peperoncino
Für die Italiener heißt alla calabrese schlichtweg scharf. Seit ihn die Spanier im 16. Jh. aus Amerika importiert haben, ist der peperoncino DER Protagonist der kalabrischen Küche. Zum Trocknen aufgehängt, schmücken feuerrote Bündel die Fassaden und finden sich in allerlei Gerichten und Produkten Kalabriens wieder: Olivenöl wird mit dem Chili aromatisiert, Salami und Pasta damit gewürzt und die Wurst 'nduja erhält erst durch den peperoncino ihr explosives Aroma.
Tatsächlich ist die kalabrische Küche aber weit raffinierter als ihr scharfer Ruf. Kalabrien ist ein Gebirgsland mitten im Meer und ebendiese Vielfalt und Spannung zwischen beiden landschaftlichen Extremen prägt auch die Küche des schönen Landstrichs. Den Grundton geben die naturbelassenen Produkte einer jahrtausendealten Hirten-, Bauern- und Fischerkultur an. Albanische, byzantinische, spanische, ja orientalische Rezepte treffen sich zu einem spannenden mediterranen Mix. In der waldreichsten Region Süditaliens bereichern auch funghi (Pilze) und cinghiali (Wildschweine) den Speisezettel.
Küche des Landesinneren
Bodenständige Trattorien im Landesinneren haben meist keine Karte – hier vertraut man den Empfehlungen der mamma, denn die weiß immer das beste Rezept. Den Auftakt bilden in Olivenöl eingelegte Gemüse und Pilze, die sott'oli, sowie marinierte Oliven und Holzofenbrot. Seit der Antike liebt man darüber hinaus Hülsenfrüchte wie Saubohnen oder Kichererbsen, die nicht nur zu Suppen und Pürees verarbeitet, sondern auch zu hausgemachten Nudeln gegessen werden. Und weil natürlich – wir befinden uns schließlich in Italien! – hervorragende Pastasaucen nicht fehlen dürfen, werden diese hier im Landesinnern aus Lammfleisch und Tomaten zu einer gar herzhaft-köstlichen Variante geköchelt. Und apropos Lammfleisch: Wenn die Ziege auch im Landesinnern mit köstlichen Lammgerichten geehrt wird und für jene Käsegenüsse, die aus deren hervorragenden Milch entspringen, verehrt wird (Pecorino,Caciocavallo, Provola, Butirri (kleine Caciocavallokäse mit einem Herzen aus Butter) oder Piticelle (Mozzarella mit Butterkern)), so ist es doch das Schweinefleisch, das den wahren Siegertitel in Kalabrien verdient hat. Neben vielen Braten-, Grill- und Schmorgerichten sind die Wurstdelikatessen der Region ein wahr gewordener Traum für jeden Fleischliebhaber, die Palette reicht von Pancetta (Bauchspeck) und Capocollo (Schweinewurst) über Soppressate (Presssack mit Chili und Schweineblut) bis hin zu Ndugghia (Wurst auf der Grundlage von Zunge, Kutteln und anderem Schweinefleisch).
Küche der Küstenstädte
Ein Blick auf die Speisekarten der Küstenregionen lädt bereits zum Träumen und zu einem verschwenderischen antipasto di mare ein: Salat von Tintenfischen mit Stangensellerie, geräucherter Thunfischbauch, frittierte Garnelen, scharf gegrillter und simpel mit Olivenöl, Zitronensaft und Kräutern abgeschmeckter Tunfisch, Langusten oder mit dem „Kaviar des Südens“ (einer Paste aus Babysardellen) bestrichene bruschetta. Und auch die Pastakreationen der Küste sind eine Hommage an die Genüsse des Meeres. Unbedingt probieren sollte man Spaghetti mit Schwertfisch und Minze oder mit Thunfischrogen und mollica (Bröseln).
Bergamotte, Zitronatzitrone und Lakritz
Sie hat eine gelblich-grüne bis goldgelbe, schrundige Schale. Kratzt man ein wenig daran, verbreitet sie einen erfrischend herben Duft: Die Zitronatzitrone, auch als Zedratzitrone bezeichnet oder schlicht Cedro, wie die Italiener sie nennen, ist ein besonderes Gewächs. Denn nicht das spärliche Fleisch dieser Frucht, sondern das Drumherum, die Schale, wird zu Zitronat, Konfitüre und Likör verarbeitet.
Ebenso geeignet für hervorragende Liköre ist die an der Stiefelspitze Kalabrien wachsende Bergamotte, jene ganz spezielle Frucht, deren Herkunft und Kreuzung noch heute Rätsel aufgibt und ausschließlich in der Region Reggio Calabria gedeiht. Wahrscheinlich geht sie auf eine Verbindung aus bitterer Orange mit einer Limette, Zedernfrucht oder einer anderen Zitrusfrucht zurück. Doch wie dem auch sei, wichtig ist nur eines: Eine Ricottacreme mit Bergamotte vollendet jedes herzhafte Gericht Kalabriens auf solch feine-leichte Weise, dass dem Kenner das Wasser im Mund zusammenläuft, schon beim bloßen Denken daran!
Ja und in Cariati an der Ostküste Kalabriens, ganz im Süden Italiens, wo die Gassen so schmal und verwinkelt sind, dass man nach ein paar Schritten die Orientierung zu drohen verliert und die Landkarte das Sohlengelenk des italienischen Stiefels formt… hier soll sie wachsen: die beste Lakritze der Welt, die kalabrische Prinzessin, wie die Leute sie nennen, Sorte "Cordara". Schwarzes Gold, das polarisiert, love it or hate it. Geschmack: herb, süß, vor allem aber heftig. Wer sich aber einmal verliebt hat, der wird in Kalabrien im siebten Himmel schweben: Ob im Eis, Kaffee, Likör, Grappa oder der Marmelade, ja sogar in der Seife… die Kalabrier lieben ihre Lakritze heiß und innig und am besten überall beigemengt.
In den Adern der Kalabrier fließt Wein und Zitrusschnaps
Fast flächendeckend werden sie in Kalabrien ausgeschenkt, die guten, kräften Bauernweine. Jahrzehntelang waren es aber vor allem die körperreichen Roten von Cirò, dem größten der zwölf kalabrischen DOC-Anbaugebiete, die über die Grenzen Kalabriens hinaus berühmt waren. Zu Recht, muss man wohl zugeben. Aufmerksamkeit verdient aber auch der aus den Rosinen der Greco-bianco-Traube gepresste Dessertwein Kalabriens. Und wem das nicht hochprozentig genug ist, der versuche sich nach dem Essen (oder vor dem Essen, weil nach dem Essen ist ja bekanntlich vor dem Essen…) am hausgemachten Zitrusschnaps. Enttäuscht wird man keineswegs, aber das wird man ohnehin nie, egal welche Spezialität Kalabriens man sich zu Gemüte führt.
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