Kampanien
Neapel ist die Hauptstadt von Kampanien und zudem für viele die heimliche Hauptstadt Italiens - wäre sie wahrscheinlich auch, wenn es da nicht das "ewige" Rom gäbe. Neapel, das klingt nach allem, was die Menschen am kulinarischen Italien lieben: Pizza, Pasta, Mozzarella, Tomaten und allerlei Meeresfrüchte! Tatsächlich verströmt die Stadt eine ungebremste Lebensfreude - und das obwohl sie sprichwörtlich auf dem Vulkan tanzt, denn der nahe gelegene Vesuv ist mehr als nur eine Bedrohung. Dennoch - oder gerade deswegen - verfügen die Neapolitaner über ein überbordendes Temperament und ihre gute Laune ist allgegenwärtig. Dabei ist das Leben in dieser von sozialen Differenzen geprägten Metropole alles andere als leicht, denn die Gefälle zwischen arm und reich sind hier weit deutlicher und offensichtlicher, als irgendwo sonst in Italien.
Während die Neapolitaner die politischen und sozialen Problem fast mit stoischer Ruhe hinzunehmen scheinen, so herrscht in den Töpfen alles andere als Gelassenheit. Der Neapolitaner möchte schnell schmackhafte Ergebnisse auf dem Teller sehen, stundenlanges "in Töpfen herumrühren" oder auf Braten aus dem Ofen warten ist ihm ein Gräuel. In Neapel lebt man hektisch und da muss sich auch die Küche dem Rhythmus der Stadt anpassen. Keiner wartet hier gerne aufs Essen und Tischkultur bedeutet hier meist "to go" und "aus der Hand". Die Pizza wird zu einem libretto zusammengeklappt und gleich auf der Straße aus dem Papier gegessen, auch gekochte und klein geschnittene Kutteln und Schweinsfüße brauchen keinen Teller, sondern werden mit Salz und Zitronensaft im Papier aus der Hand genossen. Selbst die Pasta wird (früher zumindest) gleich am Stand mit den Fingern(!) aus einem Blechnapf geschlürft - Rezepte wie die O'Roie erinnern bis heute an diese Tradition. Kein Wunder also, dass sich auch das Umland auf diese Art der Verköstigung eingestellt hat, was dazu führte, dass sich die Kampanische Küche vor allem mit unkomplizierten, preiswerten Speisen einen Namen gemacht hat. Und weil diese Speisen nicht nur einfach herzustellen sind, sondern auch (teilweise zumindest) gut schmecken, konnten viele Gerichte einen wahren Siegeszug um die Welt antreten: allen voran natürlich die Pizza.
Basis dafür, dass auch die einfachsten Gerichte gut munden, sind die landwirtschaftlichen Produkte der Region. Die San Marzano Tomaten beispielsweise sind mittlerweile genauso weltberühmt, wie der Mozzarella aus Büffelmilch oder der kampanische Hartweizen für die Pasta. Die Neapolitaner haben die Pasta zwar nicht erfunden, dennoch ist die Region heute ein Zentrum der Pasta-Produktion.
Die Region hat mit feurigen Peperoncini vom Vesuv, selten aromatischen Frühlingszwiebeln, feinsten Artischocken, hocharomatischem Fenchel oder sensationellen Zitrusfrüchten viele weitere Produkte, die den Gaumen verzücken - sie alle gedeihen zumeist auf den fruchtbaren Lavaböden am Fuße des Vesuvs und werden von der berühmten Sonne des Südens umschmeichelt. Wenn sie aus sorgfältig geführtem Anbau stammen, ist ihr Aroma so extravagant gut, dass es kaum einer weiteren Verfeinerung bedarf. Es könnte fast kitschig schön sein, wenn da nicht die bekannten Probleme wären.
Hinzu kommt das, was die Natur der Region nahezu verschwenderisch schenkt, beziehungsweise "geschenkt" hat: Fische und Meeresfrüchte aus dem Golf beispielsweise oder allerlei Federvieh. Die kleine aber feine Viehzucht der Region liefert Fleisch für die berühmte neapolitanische Salami, welche mit einem zauberhaften Chili-Fenchel-Aroma den Gaumen geradezu betört oder auch das Fleisch für das obligatorische Ragù zur Pasta.
Vielmehr braucht es scheinbar nicht, um Kampanien kulinarisch glücklich zu machen. Und vielmehr ist für die meisten Gäste ebenfalls nicht notwendig, denn fast alle scheinen sich mit den einfachen kulinarischen Grundfesten "Pizza, Pasta" zufrieden zu geben; schließlich führten diese ja genau genommen sogar weltweit in unzähligen Pizzerien & Co zum Erfolg. Dazu noch Omeletts, einfachste Gemüse-, Fisch- und Innereien-Gerichte - basta cosi!
Dabei könnte Neapel aus dem Vollen schöpfen: Normannen, Staufer, Aragonesen, Anjou, Bourbonen und Savoyer waren hier - doch küchentechnisch ist davon kaum etwas zu spüren. Keine einziges dieser fremden Mächte sollte sich in der Küche der Region ein dauerhaftes Denkmal setzen können. Nicht einmal die legendären antiken Orgien in Pompeji oder die sprichwörtlichen kulinarischen Extravaganzen des Lukullus sind irgendwo sichtbar oder zumindest in Relikten präsent. Lediglich die Frankophonisierung um 1786 hat deutliche Spuren hinterlassen, nämlich im Küchenvokabular: ragù (Fleischsauce) etwa oder gattò (Kuchen) und crocchè (Krokette).
Die Franzosen haben den Neapolitanern übrigens auch das beigebracht, was heute vielleicht das berühmteste italienische Rezept überhaupt ist: Pasta al pomodoro. Es waren nämlich tatsächlich Fischer in der Provence, die zum ersten Mal Pasta mit Tomaten kombinierten; über die Handelswege gelangte diese Idee dann in den Kampanischen Raum von wo aus sie - nicht zuletzt wegen der einmaligen San Marzano-Tomaten - dann um die Welt ging. Wenn man schon dabei ist, so muss man an dieser Stelle erwähnen, dass auch die Pizza streng genommen keine Neapolitanische Eigenleistung ist, sondern bereits im antiken Griechenland und im osmanischen Raum bekannt war - aber immerhin war Neapel hunderte Jahre lang Teil des sogenannten "Magna Graecia" (Groß-Griechenland), womit man ein Auge zudrücken darf und zumindest die Pizza dann doch als "Eigenleistung" definiert werden kann - immerhin.
Für Historiker mag das alles interessant sein, für Freunde der Regionalküche und ihrer Ursprünge auch. Den Neapolitanern ist es - die Pizza und den Büffelmozzarella ausgenommen - hingegen mehr oder weniger gleichgültig, wer nun was, wo und warum kreiert hat oder nicht. Andere kulinarische Zentren Italiens mögen da mit mehr Stolz an die kulinarischen Eigenheiten ihrer Region herantreten, den Neapolitanern ist nur wichtig, dass das mit dem Essen schnell geht, unkompliziert ist und dass es schmeckt!
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