Neapel
Neapel ist und bliebt ein Sehnsuchtsziel ersten Ranges, nicht nur wegen seiner Lage am Golf, sondern auch wegen seiner Geschichte und Kultur. Das Mueso Archeologico Nationale (mit seinen einzigartigen Mosaiken aus Pompeji und der schönen Sammlung an antiken Küchenutensilien), die unglaublichen Ausgraben im Archäologischen Park von Pompeji, die nicht minder sehenswerten Ruinen von Herkulaneum, die traumhafte Landschaft rund um den Vesuv und die Halbinsel von Sorrent, die wunderschöne Amalfiküste (costiera amalfitana), Capri (namensgebend für den weltberühmten insalata caprese (Mozzarella mit Tomaten und Olivenöl)), die mondäne Trauminsel Ischia oder der herb-liebliche Limoncello (jener köstliche Likör, der aus den Schalen der besonders aromatischen Sorte limoni sorrentini hergestellt wird) sind allein schon Gründe genug Neapel zu bereisen. Küchenhistorisch gesehen ist Neapel eines der wichtigsten Zentren der vielzitierten cucina povera, die viele Gerichte hervorgebracht hat, die heute als Klassiker der italienischen Küche gelten (auch wenn die meisten ursprünglich gar nicht aus Italien stammen).
Eines vorweg: von all zu großem Aufwand und langen Zubereitungszeiten (abgesehen vom Ragù zur Pasta) hält die Neapolitanische Küche nichts, hier möchte man möglichst schnell schmackhafte Ergebnisse sehen. Essen muss in Neapel vor allem nahrhaft und billig sein, nicht „gut und teuer“ – man war traditionell arm und musste möglichst preiswert möglichst viele Mäuler stopfen. Das heißt auch, dass auf fast alle Gewürze verzichtet wird (denn Gewürze waren/ sind teuer). Die Neapolitanische Küche basiert auf den Grundprodukten der Region wie Fisch, Getreide, Tomaten, Paprika, Fenchel, Zitronen und natürlich Büffelmozzarella, den es hier in bei uns unbekannten Qualitäten gibt. Fleisch wird in Neapel kaum gegessen und wenn dann meist in Form von Salsicce (Bratwürste) oder allenfalls einem Bistecca (Steak, natürlich „alla pizzaiola“ (nach Pizzabäckerart, also mit Tomatenragù)); aber man liebt Innereien, vor allem trippa (Kutteln), die in eigenen Lokalen (z.B. le Zendraglie in der Via Pignasecca 14) im Sommer kalt (mit Zitronensaft) und im Winter warm (mit Tomatensauce) genossen werden. Neapels Küche ist urproletarisch, daher konnten sich zwei Speisen hier früher und schneller durchsetzen, als im restlichen Italien: Spaghetti (die hier maccheroni heißen) und Pizza.
Die Pizza wurde bereits im mittelalterlichen Neapel gerne gebacken (meist als „pizza fritta“ in Öl frittiert), stammt aber ursprünglich aus dem östlichen Mittelmeerraum. Sie ist mit griechischen Auswanderern, welche um 500 v. Chr. die sogenannte néa pólis, aus der dann der heutige Name „Neapel“ wurde, an den Golf gelangt. Früher wurde der Teigfladen nur mit Käse und Öl genossen bis dann Ende des 19. Jahrhunderts im Zuge der nationalen Einigung Italiens die Pizza Margherita (zu Ehren der Königin Margherita) in den Nationalfarben rot (dargestellt durch die Tomaten), weiß (in Form von Büffelmozzarella) und grün (für das Basilikum Pate stand) kreiert wurde. Für Neapolitaner gelten bis heute nur die Varianten Margherita und die noch ursprünglichere Marinara (mit Tomaten, Knoblauch, Olivenöl, Oregano) als authentisch, ein eigenes Konsortium kümmert sich um ihren Schutz.Besonders ans Herz gelegt seien hier die „L‘Antica Pizzeria da Michele“, die sich auf das Backen der authentischen Pizza verstehen.
Imagemäßig etwas besser erging es da den Spaghetti, denn diese wurden – wenngleich auch nicht ursprünglich aus Italien kommend – ab dem späten 18. Jahrhundert auch von der Oberschicht genossen und waren damit salonfähig. Das einfache Volk aß seine in einer fetten Brühe knuddelweich gekochten makkeroni nur mit etwas Käse gewürzt, der Adel bevorzugte die französische Variante und genoss seine Pasta al dente mit Tomatensauce (ja, es waren Fischer der Provence, welche als erstes die Nudeln mit Tomaten kombinierten). Die berühmten Spaghetti al pomodoro stammen also eigentlich aus Südfrankreich, was ihr Glück war. Andernfalls wären sie nämlich vom frankophilen Adel ebenfalls als „Arme-Leute-Essen“ verschmäht worden und niemals derart populär geworden. Mit den O’Roie gibt es eine Variante bei der die Arme-Leute-Pasta nicht nur mit Käse, sondern zusätzlich auch mit etwas Tomatensauce aufgepeppt wird; diese O’Roie kann man z.B. im Lokal „La stanza del gusto“ verkosten, das auch schon Hermann Nitsch (Neapel hat ein eigenes Nitsch-Museum) bekocht hat.
Neapolitaner lieben alles, was aus dem Meer kommt. Doch auch hier verzichtet man auf kreative Zubereitungen und Gewürze. Große Fische werden einfach über Holzkohle gegrillt (Salz und Zitrone müssen als Würze ausreichen). Kleine Fische und Meeresfrüchte werden bevorzugt frittiert genossen (Neapolitaner lieben in Fett ausgebackene Speisen über alles), auch hier reichen Salz und Zitronensaft. Eine Besonderheit ist das Gericht impepata di cozze, denn da werden die Muscheln im eigenen Saft gedünstet und (man staune) mit reichlich Pfeffer gewürzt – Zitronensaft darf natürlich nicht fehlen. Eine gute Auswahl an typischen Fischgerichten findet man im Ristorante da Dora (via Ferdinando Palasciano 28) oder im Lokal „Scialuppa“, beide gehören der gehobenen Preisklasse an. Wer es einfacher mag geht ins Reginella, dort sind das Ambiente und die (verhältnismäßig preiswerte) Fischküche zwar einfach proletarisch, dafür genießt man einen herrlichen Ausblick auf den Golf von Neapel.
Anders als die aus Polen stammenden Babá (ein Hefegebäck, das gerne in Limoncello eingelegt als Mitbringsel für zu Hause angeboten wird) stammen die köstlichen Sfogliatelle (ein Feingebäck aus Blätterteig mit einer sensationell cremigen Fülle aus Ricotta und kandierten Früchten) tatsächlich aus Neapel und sind somit wohl die wahre kulinarische Ikone der Stadt, welche man unbedingt probiert haben muss. Die ofenfrischen Sfogliatelle von den Fratelli Attanasio muss man hierbei besonders empfehlen. Eines sollte man sich dazu nicht entgehen lassen: den wahren neapolitanischen Espresso. Er ist viel bitterer als unserer, weil die Neapolitaner ihren Espresso immer(!) mit Zucker trinken, um das Aroma zu heben. Auch wenn die Stadt nach außen rau und herb wirkt, so ist sie (zumindest geschmacklich gesehen) im Herzen zuckersüß.
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