Menschen

Montenegro

Hammeleintopf, Polenta und Fische anstelle von Luxus und Tafelprunk
Staat

Von allen Ländern des Balkans ist Montenegro (heißt übersetzt so viel wie „Schwarzer Berg“ – in der k.u.k. Monarchie wurde es auch „Schwarzenberg“ genannt) nicht nur eines der ursprünglichsten, sondern vor allem eines der typischsten. Es ist ein gebirgiges Land, weitgehend verkarstet, mit teilweise skurril anmutenden Berggipfeln, öden Steinwüsten, tief eingeschnittenen Schluchten (die Tara-Schlucht gilt als die tiefste Europas) und Flüssen, kleinen meist steinummauerten Feldern, die nur wenig hergeben und einer stark zergliederten Küste. Montenegro ist daher ein (für europäische Verhältnisse) sehr dünn besiedeltes Land. Der Maler Peda Milosavljević hat das Land einst sehr treffend beschrieben: „Zu allen Seiten wachsen gigantische Klippen und zertrümmerte, verstümmelte Felsen empor. Man weiß nicht, worauf sie stehen und warum sie nicht stürzen. Eine phantastische Herde Peruns, des Donnergottes, hunderte Rachen hungriger Wölfe, ganze Berge von Schwertern, Keulen und Schilden, die in der Zeit des Trias als Weissagung der nie aufhörenden Kriege versteinerten.“

Tatsächlich ist der kleine Staat, der sich seit Mitte des 15. Jahrhunderts „Crna Gora“ nennt, von einer langen kriegerischen Geschichte und unzähligen Scharmützeln geprägt, wenn nicht gezeichnet. Man war illyrisch, griechisch, makedonisch, römisch, slawisch, römisch-katholisch und griechisch-orthodox. Fast ununterbrochen standen die wehrfähigen Männer unter Waffen während die Frauen versuchten dem kargen Boden etwas Essbares abzuringen. Die harte Landschaft, welche kaum zu Frieden und Ruhe fand, hat einen dementsprechend harten Menschenschlag hervorgebracht, der den Türken weit länger widerstand, als die Nachbarn.

Seit 2006 ist das Land nun unabhängig und bemüht sich redlich um die Aufnahme in der EU. Allerdings hat das Land einerseits mit wirtschaftliches Problemen zu kämpfen und andererseits mit Kriminalität, denn das unwegsame Gelände bietet mannigfaltigen Unterschlupf für Handlanger, lichtscheue Gestalten und sogar Auftragsmörder. Vor allem mit Schmuggel aller Art (von Zigaretten über Drogen und Narkotika bis hin zu gestohlenen Autos aus der EU und sogar Waffen) ist man in Montenegro schwer beschäftigt. Ein weiteres Problem Montenegros sind die (und das ist wörtlich zu verstehen) traditionellen Familienverbände. Bis heute sind viele Montenegriner in ihren bratsvo genannten Familienverbänden verhaftet und leben ihr Leben nach altüberlieferten Sitten – so spielt z.B. die Blutrache bis heute eine Rolle. Was einst notwendig war um in der kargen Landschaft zu überleben ist heute ein Problem auf dem Weg in das moderne Europa. Doch keine Medaille ohne zwei Seiten: das Festhalten an alten Werten und Traditionen bringt auch mit sich, dass beispielsweise Folklore, Tracht, Musik oder Kulinarik in Montenegro nicht touristischen oder merkantilen Zwängen unterworfen sind, sondern tatsächlich als gelebtes Brauchtum hochgehalten werden.

Doch für kulinarische Feinheiten war in einer derart unwirtlichen Umgebung wahrlich kein Platz. Überlieferungen zufolge gab es selbst in Cetinje im Palast des Fürst-Bischofs Petar II. Njegoš (1813-1851) keinerlei Anzeichen von Luxus und schon gar keinen Tafelprunk. Und Montenegros erster und einziger König soll am liebsten Hammeleintopf mit Gemüse gegessen haben.

Dieser Hammeleintopf wurde bevorzugt aus dem sogenannten njegoš kastradin, einem gesalzenem, geräuchertem und anschließend luftgetrocknetem Hammelfleisch gekocht und erlebte eine ganz seltsame Geschichte. Niemand geringerer als die luxusverwöhnten Venezianer importierten diesen intensiv rustikal schmeckenden Schinken (der wurde in bunte Tücher eingewickelt von Albanischen, Bosnischen und eben Montenegrinischen Fischern und Händlern nach Venedig gebracht) und mit ihm gleich das Rezept. Noch heute ist der würzige Hammel-Eintopf – in Venedig castradina genannt – ein fixer Bestandteil im kulinarischen Kalender Venedigs und wird als traditionelles Essen am 21. November zum Fest der „Madonna della Salute“ überall in Venedig aufgetischt. Der venezianische Castradina basiert auf der alten Rezeptur vom Balkan und erinnert an den Irish Stew, da er vornehmlich aus Fleisch, Kohl, Karotten und Zwiebeln besteht – es ist gut möglich, dass die Rezeptur ein Relikt aus Römischer Zeit ist, denn bei den Römern waren Kohleintöpfe bekanntlich sehr beliebt.

Während man heute an der montenegrinischen Küste – vor allem aber in der berühmten Bucht von Kotor – vielerlei Fischgerichte nach raffinierten italienischen und würzigen griechischen Rezepturen aufgetischt bekommt beschränken sich die typischen Gerichte des Hinterlandes nach wie vor auf Lamm- und Hammelfleisch, Polenta (dazu wird jardum getrunken, eine gesalzene Schafsdickmilch), priganice (sehr deftige Krapfen, die mit Käse bestreut genossen werden), Flussfische (z.B. aus der Bojana) und Seefische (vor allem der Skutarisee ist bekannt für seinen (ehemaligen) Fischreichtum, allein hier leben immer noch fast 40 unterschiedliche Fischarten wie Aale, Karpfen, Forellen, Barsche, diverse Weißfische u.v.m.). Fische werden bevorzugt gedörrt und eingesalzen, um sie als Vorrat für den langen und harten Winter zur Verfügung zu haben.

Eine typische Eigenart ist das Kochen unter dem sogenannten Sartsch; hierbei wird das Fleisch (meist Lamm) zerteilt und gesalzen auf einen Tonteller gelegt und mit Olivenöl und evtl. auch Zitronensaft beträufelt mit dem Sartsch genannten Metalldeckeln abgedeckt ins Feuer gestellt. Der Sartsch hat die abgeflachte Form einer Glocke und wird mit Asche und Glut bedeckt. Bei dieser Kochmethode bleibt das Fleisch sehr saftig. Ein Relikt aus der Römerzeit, das bis heute in vielen Haushalten und Restaurants genutzt wird (im Norden nennt man diese Gar-Glocke übrigens Peka).
Eine Reise ist das Land der "Schwarzen Berge" jedenfalls wert. Hier lässt er sich noch nahezu rein und unverfälscht erfahren, jeder geradezu legendäre Balkan-Flair, der die Region seit eh und je berühmt-berüchtigt macht. Und dieser Flair lässt sich halt wirklich authentisch nur vor Ort erleben. Wem das allein nicht reicht, der möge sich einfach an der teils überwältigenden Naturlandschaft erfreuen.

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