Tirol
„Auf der Alm, da gibt’s koa Sünd’!“ wird des öfteren gerne bei sommerlichen Ausflügen auf den wunderschönen Tiroler Almen gesungen, doch – zumindest im Winter – werden sie (leider immer noch) tausendfach begangen: Was da auf den Bergen Tirols an systemgastronomischen Grausamkeiten unter dem Motto „der Hunger treibt’s schon rein und gutes Geld bringt’s auch“ angeboten – und eigenartiger Weise von manchen tatsächlich reingestopft wird – hat nichts, aber auch schon überhaupt nichts mit Genuss zu tun. Eher schon mit Vergewaltigung der Geschmacksnerven! Und auch das Argument, dass die Schulden drücken, Kredite zurückbezahlt werden müssen oder ähnliche fadenscheinige Ausreden darf man nicht einfach so hinnehmen, sonst wird sich nichts ändern.
Tirol hat weitestgehend auf den Urlaub gesetzt; und leider erst in den letzten Jahren auf den Qualitätsurlaub. Vor allem in den 70er und 80er Jahren vorigen Jahrhunderts wurde die traditionelle Tiroler Küche nahezu umgebracht. Gekocht wurde nicht, Convenience waren das Zauberwort, welches möglichst viel Gewinn bringen sollte. Und so wurde auf billigen Massentourismus gesetzt, die traumhafte Landschaft und Schönheit der Natur in weiten Bereichen durch Lifte beeinträchtigt und nicht zuletzt die heimische Küche mit ihren Spezialitäten vernachlässigt.
Aber es gibt neue Hoffnung, denn mittlerweile haben viele Tiroler eingesehen, dass man nur mit guter Qualität, mehr Komfort, weniger Rummel, mehr Natur und einer gehobenen Dienstleistung langfristig Erfolg haben wird und sich gleichzeitig sein Paradies bewahren kann. Denn ins Paradies kommen dann vor allem die Genussmenschen, welche zwar sehr anspruchsvoll sein mögen, dafür aber auch den einen oder anderen Euro mehr im Land lassen.
Tirol hat nämlich, wie die wenigsten Touristen wohl jemals erfahren werden, eine lange kulinarische Tradition vorzuweisen, die auf zwei wichtigen Standbeinen basiert: Die eine ist die klassische Höfische Küche, welche in Tirol vor allem von einer gewissen Philippine Welser initiiert worden ist und das andere die urige Bauernküche, welche von den Müttern und Großmüttern entwickelt wurde.
Philippine Welser war im Übrigen keine Adelige, sondern eine Bürgerstochter, welche durch die geheime Heirat mit Erzherzog Ferdinand II an den Habsburger Hof kam. Sie war nicht nur ausgesprochen schön, wie alte Gemälde beweisen, sondern konnte auch ganz ausgezeichnet kochen. Diese Kochkünste trugen dazu bei, dass es damals bei den Adelsgeschlechtern ganz Europas als besondere Ehre galt, am Hof von Innsbruck zu Gast sein zu dürfen, wo das Paar eine opulente Hofhaltung pflegte. Und das schöne für uns Genussmenschen ist heute die Tatsache, dass Frau Philippine Welser ihre Rezepte freigiebig weitergegeben hatte und so die nationale wie internationale Küche maßgeblich beeinflusste. Für Österreichs Küche war sie insofern wichtig, als sie auch das erste österreichische Kochbuch verfasste, eine handschriftliche Rezeptsammlung, welche heute in der Nationalbibliothek aufbewahrt wird. International gesehen hat sie sicherlich dazu beigetragen, dass Gerichte „à la tyrolienne“ bald auch an vielen europäischen Fürstenhöfen als „dernier cri“ gegolten haben und Speisen wie etwa die weltberühmte „Tiroler Leber“ oder die „Sauce tyrolienne“ sogar im Standardwerk der Kochkunst von Auguste Escoffier zu finden sind.
Bei näherem Betrachten der Tiroler Küche fällt aber sehr schnell auf, dass das wichtigere Standbein sicherlich das der bäuerlichen Küche ist. Auch wenn diese ursprüngliche Küche in den 70er und 80er Jahren vorigen Jahrhunderts vom Aussterben bedroht war, konnte sie doch in den 90er Jahren vor dem sicheren Tode gerettet werden. In der Folge waren ein radikales Umdenken, welches weg führte vom unsäglichen Massentourismus mit seinen fatalen Folgen, und nicht zuletzt das immer noch vorhandene Heimat- und Traditionsbewusstsein der Tiroler dafür ausschlaggebend, dass Gerichte wie Plenten, Schwarzplenten, Triggelen, Graukäse oder Schlutzer wieder auf den Speisekarten zu finden sind.
Und auch die wichtigste Mahlzeit der Tiroler, nämlich die „Marenten“ oder „Marende“ – die Jause – hat wieder ihren fixen Platz. Und hier wird nicht etwa (wie schon geschehen) billiger Industriespeck verzehrt, sondern man genießt die herausragende Qualität, welche wieder produziert wird. Molkereien, Fleischer, Bäcker oder Schnapsbrenner ziehen da an einem kulinarischen Strang und setzen auf Top-Qualität, welche aus den herausragenden Produkten heimischer Landwirtschaft entstehen.
Die neu gewonnene Freude an traditionellen Spezialitäten und alten Rezepturen hat in Tirol dazu geführt, dass man sich nahezu allerorts der bodenständigen Grundprodukte besann: Tuxer Ochsen, Tannheimer und Innervillgratener Berglämmer, Achensee-Saiblinge, traditioneller Nordtiroler- und Osttiroler Speck, Kaminwurzen aus Pians, hausgemachte Marmeladen, Konfekte aller Art, Prügeltorten, Emmentaler aus Hatzenstädt, Heumilchkäse, Stanzer Zwetschken und alle Arten von Beeren geben nur ein kleines Zeugnis davon ab, über welchen Reichtum das Land verfügt. Ja, es gibt in der Nähe von Zirl sogar einen Weinberg, wenngleich die Tiroler, wie allgemein bekannt sein dürfte, natürlich viel lieber Gerstensaft trinken.
Und überall gibt es Schnaps, in geradezu unzähligen Varianten: Enzian, Wacholder, Krautinger (eine Spezialität aus der Wildschönau), Pregler aus Osttirol, Edelbrände allererster Güte von Rochelt oder auch der berühmte Stanzer Zwetschkenschnaps sind nur einige Tropfen, mit denen sich ein „Menu à la tyrolienne“ genussvoll abschließen lässt. Tirol hat sich heute offensichtlich wieder seiner traditionellen und kulinarischen Werte besonnen – und das ist gut so!
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