Barcelona, eine Metropole zwischen Tradition und Moderne, hat eine faszinierende kulinarische Geschichte, die vor mehr als 2000 Jahren ihren Ursprung hatte. Wie so oft gehen die Anfänge auf die großen Zivilisationen zurück, die einst den Mittelmeerraum beherrschten. So verdankt man beispielsweise den Römern die Oliven und das Olivenöl, den Griechen den Wein oder den Arabern Reis und allerlei Gemüse. All diese Produkte sind bis heute Säulen der katalanischen Küche. Hinzu kommt eine einzigartige Lage zwischen Pyrenäen und Mittelmeer, welche der Stadt erlaubt auf eine Fülle an Fisch und Meeresfrüchten gleichermaßen zurückgreifen zu können, wie auf Schinken, Wurstwaren und Käse aus den Bergen. Diese Fülle an Produkten erklärt, warum die Küche Barcelonas eine der reichhaltigsten und vielfältigsten Europas ist. Bereits in der Mitte des 15. Jahrhunderts beschrieb der italienische Historiker und Rezepte-Verfasser Bartolomeo Sacchi da Platina die katalanische Küche als eine der besten der Welt und lobte ausschweifend ihre Köche.
Kochtechnisch gesehen haben sicherlich die Araber und das mittelalterliche Geschmacksempfinden die nachhaltigsten Spuren hinterlassen, was sich einerseits an der für spanische Verhältnisse sehr reichhaltigen Verwendung von exotischen Gewürzen zeigt, andererseits am häufigen Mischen von Pikantem und Süßen.
Der Spanische Bürgerkrieg und die traurige Nachkriegszeit sorgten dann dafür, dass die Katalanische Küche einen herben Rückschlag erhielt. Und noch heute erinnern sich die Älteren an den ewigen escudella (ein katalonischer Fleisch-Gemüse-Topf), den ständigen bacalao (Stock- oder Klippfisch) oder die Eintönigkeit der Speisen. Doch diese Speisen sind noch heute omnipräsent und werden als Traditionsgerichte hoch gehalten und beinahe überall angeboten.
Mit Ferran Adrià bewegte sich die katalanische Küche hingegen in ganz neue, moderne Dimensionen, welche überhaupt nichts mehr mit den traditionellen Rezepten zu tun hatte. Trotzdem hat Adrià seine Katalanen wachgerüttelt, und aufgezeigt welche Möglichkeiten sich ergeben können, hat man nur die richtigen (visionären) Ideen. Mit ihm als Zugpferd bewegte sich plötzlich wieder etwas und man gab sich nicht mehr mit der Eintönigkeit zu Frieden. Neue Wege wollten gefunden werden, ohne dabei aber die Tradition außer Augen zu verlieren.
Ein schönes Beispiel für die moderne Tapa-Küche Barcelonas ist die des Restaurants Matamala. Ein anderes findet sich bei Pepa Aymamí mit ihrem Institut de la Cuina Catalana, welches bestrebt ist, die klassischen katalanischen Rezepte und Gerichte zu bewahren, wie die vergessenen fricandó (Fleischtopf) oder rossejat (Reis oder Nudeln in Fischbrühe). Das Institut geht sogar soweit, dass es bestrebt ist, für die katalanische Küche den Status als Weltkulturerbe bei der UNESCO zu erreichen.
Heute versucht Barcelona an alte kulinarische Glanzzeiten anzuschließen, insbesondere durch die Olympischen Spiele 1992 erlebte die Stadt den dafür notwendig gewordenen Anstoß. Leider muss man heute feststellen, dass der Boom nicht nachhaltig genug war und viele Lokale von traditioneller Stilistik zu Chinesen, Mexikanern, Kebab-Buden oder Fast-Food-Lokalen mutierten. Andere Lokale wiederum zogen es vor, durch vollkommen überzogene Preispolitik zu pseudo-eleganten Nepplokalen zu werden und dabei ein Essen anbieten, das der Stadt und ihrer kulinarischen Tradition nur selten würdig ist!
Aber in vielen keinen Tavernen (vor allem in den Vororten, wo die Einheimischen verkehren) wird man immer wieder vernehmen, dass die Katalanen ihre traditionelle Küche lieben und sie sehr ernst nehmen. Allerdings gehen sie mit ihr nicht sehr sorgsam um und halten sie kaum in Ehren, wie es beispielsweise Franzosen oder Italiener geradezu vorbildlich tun. Daher ist la cuina catalana keine Küche für Restaurants, sondern für die Familie, für Freunde und die Geselligkeit mit Freunden. Auf den Speisekarten der Restaurants stehen die Gerichte zwar mit ihren Originalnamen, werden aber in den seltensten Fällen original zubereitet, sondern meist verfälscht (um sie einem vermeintlichen internationalen Einheitsgeschmack zugänglicher zu machen) oder verändert (weil der Küchenchef ihnen seine eigene Handschrift aufdrücken will).
Dabei ist die katalanische Küche so gradlinig, so einfach und so wunderbar! Es verhält sich aber auch so, dass man aufs Land fahren muss, um sie in authentischer Form erleben zu können; in der Metropole Barcelona wird man sie (vor allem im Zentrum) eher selten finden - und das aus folgendem Grund: die deftig fantasievollen Eintöpfe und Ragouts Kataloniens werden am liebsten zu Hause genossen; Essen gehen ist etwas für das schicke, urbane Publikum und das wünscht sich halt nicht einfach gute Traditionsgerichte, sondern ist auf der Suche nach etwas Aufregendem, Neuen und Erlebnis! Und das wird in Barcelona jedenfalls in Hülle und Fülle geboten.
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