Prag
Vorweg nur so viel: So wie sich die Faszination und der romantische Charme Prags kaum in Worte fassen lassen, so ist es genauso unmöglich, die Magie der Stadt durch ein, zwei, drei Fotografien auch nur annähernd einzufangen. Wir versuchen hier dennoch beides, auch wenn es uns gar nicht gelingen kann: Sehen und Lesen sind der Sinne nicht genug, wenn es um Prag geht, da muss man hinfahren, hintasten, hinhören und hinschmecken. Darauf Lust machen: mehr wollen wir gar nicht.
Die Goldene Stadt, eine Perle an der Moldau, die Hunderttürmige, Hollywood des Ostens, die Mutter aller böhmischen Städten: Prag hat wahrlich viele Namen. Für die meisten ist die pulsierende Stadt aber mit Karlsbrücke, Burg, Altstadt, Kneipen und Kaffeehäusern vor allem einfach eines: ein in Stein gemeißeltes Paradies, ein wahr gewordener Traum. Nur wenige europäische Städte haben neben dem Tourismusboom geschafft, was in Prag mit scheinbar spielerisch leichter Hand geglückt ist: den ursprünglichen Charme im Laufe der Geschichte zu erhalten, zu konservieren und Besucher auf eine Reise in vergangene Zeiten zu entführen.
Einige geschichtlichen Fakten vorweg, die nicht ausgelassen, aber auch nicht aufgeblasen werden dürfen: die erste große Glanzzeiterlebte Prag unter der Herrschhaft von Karl IV., der 1346 seinem Vater Johannes von Luxemburg auf den böhmischen Königsthron folgte. 1355 wurde Karl zum Kaiser des Heiligen Römischen Reiches gewählt und Prag als Sitz des Regenten ein europäisches Macht- und Wirtschaftszentrum. Die Karlsbrücke, die erste Universität Mitteleuropas und der Veitsdom sind herausragende Hinterlassenschaften der Herrschaft Karl IV. Tja und nun kommen wir zu dem Beinamen schlechthin, mit dem Prag gerne und liebevoll betitelt wird: Als augenfälliges Symbol dieses Glanzes jener Herrschaftsperiode wurden in dieser Zeit die Bleidächer vieler Türme vergoldet. Das Gold ist mittlerweile schon lange wieder runter von den Dächern, der Ruf von der "Goldenen Stadt" ist aber nach wie vor ungebrochen.
Prag könnte man auch als 3D Lehrbuch der Architektur bereifen - Romanische Kirchen und Souterrains, gotische Dome, barocke Paläste, mondäne Jugenstil-Bauten, einzigartige kubistische Architektur: in Prag muss man wahrlich kein Architekturkenner sein, um den Glanz der Stadt zu begreifen, da reicht ein Spaziergang durch die wunderschöne Altstadt mit ihren dicken Steinmauern, ein Blick auf die bunten Hausfassaden und holprig-charmanten Kopfsteinpflaster, da genügt das warme Licht, in das Prag abends getaucht wird (für das nostalgische Feeling sorgt die Imitation der Gasbeleuchtung von einst), da reicht ein Schritt und Tritt, denn jeder eröffnet einem das kleine Wunder, das die pittoreske Stadt birgt: ein Liebes-Epos, bei dem gerade die kleinen Ecken und Winkeln die schönsten Geschichten schreiben. Die Seele der Stadt ist aber kein Gebäude, sondern die anmutige Moldau: über dreißig Brücken erstreckt sie sich in Prag, umschlingt mit ihren Gewässer zehn Inseln und bildet mit der mittelalterlichen Karlsbrücke und der Prager Burg das, was man ein traumhaftes Panorama nennt und was zahlreiche Pragliebhaber in noch zahlreicheren Fotografien mal mehr und mal weniger geglückt einzufangen versuchen. Doch egal wie schön das Foto, egal wie magisch der Flair der Stadt darauf scheint: real und live und mit eigenem Auge, so viel sei versichert, sieht Prag noch viel schöner aus.
Galt lange als Geheimtipp für echt Prag-Kenner und muss hier natürlich auch weitergereicht werden: der vielleicht malerischste Winkel Prags, die "Neue Welt". Noch immer verirren sich nach Einbruch der Dunkelheit wenige Touristen in das einstige Armenviertel, das im 16. Jahrhundert entlang der Burgmauern entstand und das ist auch gut so: Ein wenig erinnern die kleinen Häuschen an das "Goldene Gässchen" (Das man sich übrigens, soviel sei hier empfohlen, sparen kann. Das Geld ist’s nicht Wert, auch wenn hier Kafka einst lebte, hat sich das Gässchen doch in ein kleines Prager Disneyland verwandelt, das mit dem einstigen Charme des Gässchens nicht mehr viel zu tun hat), nur ohne die Menschenmassen, die sich durch die berühmte Häuserzeile am Hradschin schieben.
In Tschechien trinkt man nicht zum Essen, man isst zum Trinken – so lautet ein gerne zitiertes Sprichwort, das auf Prag wie maßgeschneidert passt. Beweis gefällig? Dass eine der kulinarischen Spezialität, esnečka, eine deftige Knoblauchsuppe, ein Katerfrühstück ist, die dringlichst empfohlen wird, wenn’s am letzten Abend wieder einmal ein Bier zu viel war (und das ist es in Prag meist), zeugt wohl bereits eindeutig von der Trinkfreudigkeit der Prager. Darüber hinaus schrieb der Schriftsteller Bohumil Hrabal sicherlich nicht umsonst: "Wo andere Städte Grundwasser haben, hat Prag Bier."
Die bekannteste Bierstube ist das "U Fleku", das in der Nähe des Karlsplatzes liegt. Die Geschichte des Restaurants reicht bis ins Jahr 1499 zurück, seit dieser Zeit werden in den Gewölben Biere gebraut. Gegessen wird dort meist deftig und rustikal und kalorienreich, so als gelte es, lediglich eine Grundlage für mindestens ein halbes Dutzend Bierkrüge zu schaffen. Beliebt ist auch "utopenci", eine Art Wurstsalat aus dicken Fleischwürsten, und "Nakládaný hermelín", ein manierierter Camembert. Uriger geht’s im U zlatehu tygra (Zum goldenen Tiger) zu: kulinarische Spezialität des Hauses ist Bierkäse (pivní sýr), der hier angeblich erfunden wurde. Die Käsecreme ähnelt dem Liptauer - und schmeckt großartig zum kühlen Bier.
Die mangelnde Raffinesse, die man vielen Speisekarten Prags womöglich vorwerfen könnte, hat einen Grund. Kreativität war jahrzehntelang nicht gefragt. Wie Küchenchefs zu kochen haben, das war bis 1989 bis ins kleinste Detail staatlich geregelt. Dabei ist die böhmische Küche eine spannende Melange aus verschiedenen Einflüssen. Die Liebe zu den Mehlspeisen, Innereien und Geschmortem haben die Österreicher mitgebracht, die Begeisterung für Braten und Kraut die Deutschen. Aus den slawischen Nachbarländern kommen Gerichte mit Pilzen, saurer Sahne und kräftigen Gewürze wie Paprika, Kümmel und Knoblauch. Die vielleicht wichtigste Ikone der Böhmischen Küche in Prag? Der Prager Schinken! Dabei gilt es allerdings, vorsichtig und kritisch zu sein: der Rohschinken, für den die Schinkenkeulen zunächst gepökelt und dann über Buchenholz geräuchert werden, gibt’s in Prag mittlerweile selten, oft bekommt man den italienischen Kochschinken oder österreichischen Beinschinken untergemogelt. Sicherer geht man, wenn man „Prager Schinken im Brotteig“ bestellt, wenngleich man auch hier nicht zu voreilig sein darf: nicht selten landet geselchter Schopf oder Karree auf dem Tisch.
Und dann sind da noch die legendären Kaffeehäuser, ohne die kein Prag-Besuch in der Stadt komplett ist. Ihre Blütezeit erlebten die Cafés im ausgehenden 19. und beginnenden 20. Jahrhunderts. In den hohen Hallen des "Slavia", des "Louvre" oder des "Imperial" trafen sich die Literaten, Künstler und Denker der Stadt. Erwin Kisch, Albert Einstein, Max Brod und Franz Kafka waren häufige Gäste. Man redete, debattierte und trank bis spät in die Nacht. Heutzutage wurden viele der alten Kaffeehäuser wurden aufwändig renoviert und haben an Flair verloren, an einigen Orten allerdings lässt sich die vergangene, einzigartige Künstleratmosphäre noch ertasten. Eins der schönsten Kaffeehäuser ist das Kavárna Obecní dum. In den riesigen Jugendstil-Hallen versinkt man in einer Welt aus Braun, Creme- und Goldtönen, an der Decke funkeln riesige böhmische Kronleuchter. Ein wunderbarer Ort, um den Abend zu beginnen. Man kann aber auch einfach sitzen bleiben, denn: Pilsner Urquell gibt es auch dort, da braucht man sich keine Sorgen machen.
Follow Contadino