Wurstelbrunnen
Die offen und freiherzig ausgelebte Lebens- und Liebeslust des barocken Wien frappierte so manchen Fremden. So echauffierte sich 1781 der protestantischen Verzicht gewohnte Berliner Friedrich Nicolai halb fassungslos, halb neidvoll: »Die Einwohner Wiens sind in allen Dingen, welche zur Gemächlichkeit und zur Wollust des Lebens gehören, sehr viel weiter als die Einwohner einer anderen deutschen Stadt […] Sie sitzen da, als ob sie von Gott bloß zum Essen geschaffen wären.«
Wien als hedonistische Donaumetropole darzustellen, war keineswegs allein preußische Propaganda, sondern spiegelt sich auch in vielen selbstironischen Zitaten eigener Dichter, Denker und Literaten wider – und traditionell günstige Gaststättenpreise manifestieren das Selbstverständnis.
Eine Figur ist eng mit dieser Lebenseinstellung verbunden: der Hanswurst. In der Gestalt einer Wurst entstand er aus der Karikatur eines Lungauer Würstemachers namens »Lewerwurst«. In Wien machte der Komiker und Weinhändler Joseph Stranitzky (1676–1726) den gefräßigen Spaßmacher so populär, dass er in vielen Formen theatralisch aufgearbeitet wurde: In Mozarts Don Giovanni erscheint er als Leporello und nascht Fasan, in der Zauberflöte schlüpft er in die Figur des Papageno und dient dem, der ihn füttert, und später taucht die Gestalt in zahlreichen Komödien Nestroys und Raimunds auf – auf Wiens Volksbühnen hielt sich der Typ länger als irgendwo sonst.
Noch heute wird der Wiener Prater allgemein »Wurstelprater« genannt – und auf dem Wurstelplatz tanzt der Wurstel mit dem Kasper, zwar nicht auf dem Vulkan, aber immerhin auf einem Brunnen. Den meisten Phäaken ist das aber eh »wurscht«, sie verlegen sich lieber darauf, es dem Vielfraß in einem der vielen Praterlokale gleichzutun. Wien ist halt so … wie sagte noch Raimund: »Ich mag halt reden, was ich will, ich komm halt immer aufs Essen zurück.«
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